Von Indien nach DeutschlandIm Gespräch mit Piyali Bhattacharjee

Di, 25. März 2025
Kannst du dich kurz vorstellen? Wer bist du und was machst du beruflich hier an der Hochschule?

Mein Name ist Piyali Bhattacharjee. Ich komme ursprünglich aus Indien und bin auf einer kleinen Insel in der Nähe von Thailand aufgewachsen. Nach einigen Jahren haben meine Eltern ein Haus in Kalkutta gebaut, in das wir gemeinsam eingezogen sind. In Kalkutta habe ich Mikrobiologie studiert und einen Master in Biotechnologie absolviert. Anschließend habe ich in diesem Fachgebiet promoviert. Derzeit bin ich Ansprechpartnerin in der Schulkontaktstelle an der Hochschule Aalen, die der Zentralen Studienberatung angegliedert ist und Studiengangsmanagerin der englischsprachigen Bachelorstudiengänge.


Was hat dich dazu bewegt, deine Karriere in einem anderen Land fortzusetzen?

In Indien ist es üblich, nach einer Promotion internationale Erfahrungen zu sammeln. Die Aussicht darauf war für mich sehr spannend, da ich bisher nur innerhalb Indiens umgezogen war. Es war etwas völlig Neues für mich!


Warum hast du dich für Deutschland entschieden?

Eigentlich habe ich Deutschland nicht gewählt, ich sage immer, Deutschland hat mich gewählt. Ich hatte mich in verschiedenen Ländern auf Postdoc-Stellen beworben. An der Universität Osnabrück hatte ich sofort ein gutes Gefühl. Der Professor, bei dem ich schließlich angestellt war, hat mich mit seiner freundlichen Art überzeugt. Das war im Jahr 2016. Diese positive Erfahrung hat letztendlich meine Entscheidung für Deutschland und den Job beeinflusst. Zudem hatte mein Mann, ein Informatiker, bereits an verschiedenen Projekten mit europäischen Firmen gearbeitet. Er war vor unserem Umzug nach Deutschland bei einem amerikanischen Unternehmen in Indien angestellt. Durch seine dort gesammelte Erfahrung hatten wir immer den Wunsch, nach Europa zu ziehen. Letztendlich konnten wir dann gemeinsam unseren Traum verwirklichen!


Und wie bist du von Osnabrück nach Aalen gekommen?

Mein Mann hat ein Angebot von einem großen Unternehmen in der Region erhalten. Zu dieser Zeit war ich in Elternzeit und mein Vertrag in Osnabrück war ausgelaufen. Anfang Januar 2023 bekam ich eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft an der Fakultät für Optik und Mechatronik und arbeitete acht Monate mit Professor Andreas Walter zusammen, der im Bereich Biophysik forscht. Meine Tätigkeit bestand darin, Studierenden bei der Standardisierung von Laborprotokollen für mikroskopische Untersuchungen im Labor zu helfen.

Nach diesen acht Monaten ergab sich die Möglichkeit, in der Schulkontaktstelle der Zentralen Studienberatung zu arbeiten. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich, da ich bisher hauptsächlich im Labor tätig war und wissenschaftliche Kommunikation betrieben habe. Aber ich wollte schon immer in Richtung Pädagogik, Lehre und Kommunikation gehen. Also habe ich mich beworben. Meine jetzige Chefin, Miriam Bischoff, war von meinem Forschungshintergrund überzeugt, denn es war genau das, was sie für die Stelle gesucht hatten – die Verbindung aus Forschung und Praxis sowie eine Person, die Schüler:innen für die MINT-Fächer motivieren und begeistern kann. Jemand der die komplexe Wissenschaft, in einfache Worte fassen und an das entsprechende Publikum vermitteln kann. In diesem Bereich bin ich jetzt seit September 2023 tätig. Seit November 2024 bin ich zudem die Studiengangsmanagerin der englischsprachigen Bachelorstudiengänge.


Welche Vorstellungen hattest du von Deutschland und dem Leben hier?

Ich hatte eigentlich keine Klischees im Kopf, als ich nach Deutschland gezogen bin. Mein Mann hingegen freute sich als Fußballfan besonders auf die Fußballspiele hier. In Indien verbindet man mit Deutschland generell sowohl positive als auch negative Aspekte. Auf der negativen Seite wird häufig der Nationalsozialismus erwähnt, während auf der positiven Seite das Qualitätssiegel „Made in Germany“ steht. In Indien gelten Produkte mit diesem Siegel als hochwertig und zuverlässig. Ich selbst habe mir damals keine großen Gedanken über solche Klischees gemacht, da mein Chef aus meiner ersten Anstellung einen sehr positiven Eindruck bei mir hinterlassen hatte. Unsere ausführlichen Vorgespräche über Skype haben mir den Neuanfang deutlich erleichtert.


Was waren die größten Herausforderungen beim Umzug von Indien nach Deutschland?

Als wir nach Deutschland eingereist sind, hatten wir nur zwei Koffer dabei. Darin befanden sich unter anderem ein paar Gewürze und Töpfe, die es hier nicht gibt, sowie unsere Kleidung. Der Umzug verlief relativ stressfrei, da wir unser Familienvisum rechtzeitig erhalten hatten. 

Nach unserer Ankunft in Deutschland standen wir vor großen Herausforderungen. Mein Mann hat IT studiert und bereits für zwei große Firmen in Indien gearbeitet. Doch in Osnabrück war es wegen der Größe der Stadt sehr schwer, einen Job zu finden. Wir kamen nur mit A1-Niveau in Deutsch hierher und konnten nicht verstehen, warum mein Mann trotz seiner umfangreichen Erfahrung keinen Job fand. Für meine Tätigkeit war kein Sprachnachweis nötig, da alles auf Englisch ablief. Mein Mann hingegen hat mehr als 100 Bewerbungen versendet und kaum Antworten erhalten. Der Bewerbungsprozess in Deutschland ist ganz anders als in Indien, was wir damals nicht wussten. 

Glücklicherweise haben wir eine nette Familie aus Bangladesch kennengelernt, die uns sehr geholfen hat. Ohne ihre Unterstützung wären wir wahrscheinlich nach einem Jahr wieder nach Indien zurückgereist. Als mein Mann schließlich eine Stelle gefunden hat, konnte er durch ein Integrationsprogramm seines Arbeitgebers Deutsch lernen und erreichte das B1-Niveau. Nach und nach haben sich immer neue Möglichkeiten ergeben, aber das erste Jahr war sehr hart.

Ein weiteres Problem war, dass unsere Heiratsurkunde anfangs nicht anerkannt wurde, da wir sie zunächst vom Englischen ins Deutsche übersetzen lassen mussten. Dadurch wurde ich bei meiner ersten Gehaltsabrechnung der falschen Steuerklasse zugeordnet. Dank der Hilfe einer Kollegin konnte dieses Problem jedoch schnell gelöst werden.


Was sind die größten Unterschiede zwischen der Arbeitskultur in Indien und Deutschland?

In Indien schätzt man einen Lebenslauf ganz anders als hier. In Deutschland wird mehr die Persönlichkeit des Bewerbenden gesehen. Es zählen nicht nur die Fähigkeiten, die für den Job wichtig sind, sondern auch, ob die Person zum Team passt. Denn Fähigkeiten kann man lernen, ich bin das beste Beispiel dafür! In Indien hat man beispielsweise auch keine Fotos auf seinem Lebenslauf, nur auf LinkedIn oder Xing. Diese sind aber eher wie Passbilder und haben nichts mit den Bewerbungsfotos zu tun, die es hier in Deutschland gibt. Als wir erfahren haben, dass ein Foto benötigt wird, mussten wir erst einmal professionelle Bilder machen lassen.

Der Lebenslauf zeigt, was ich kann, aber wir haben dann verstanden, dass es in Deutschland wichtig ist, seine Bewerbung persönlicher zu gestalten, um einen guten ersten Eindruck vom Bewerber oder der Bewerberin zu erhalten. Es gibt in Indien beispielsweise auch keine Anschreiben. Man benötigt lediglich Arbeitszeugnisse, damit der Chef oder die Chefin weiß, was bisher gemacht worden ist. Auch Bewerbungsgespräche laufen in Indien anders. Es gibt nur eine kurze Fragerunde durch die Personalabteilung, warum man sich bei der jeweiligen Firma beworben hat. Es werden dann hauptsächlich fachliche Fragen vom Manager gestellt. 

Eine weitere Sache fällt mir noch ein: Die Work-Life-Balance hier in Deutschland ist viel besser als in Indien. Hier kann man viel freier leben, das ist besonders auch für Kinder schön. Der Sommer wird genutzt, um zu verreisen und abzuschalten. Wir nutzen unseren Urlaub jetzt unter anderem, um nach Indien zu reisen und unsere Familien zu besuchen. Seit 2021 versuchen wir, einmal im Winter nach Indien zu fliegen. Das ist wichtig für uns, besonders für meinen Sohn.


Wie war es, sich in ein neues Team in einem fremden Land einzufügen?

Ich kann nur aus meiner persönlichen Erfahrung sprechen, und natürlich können andere Meinungen hiervon abweichen. In Indien sind Teams sehr vielfältig aufgestellt, was die unterschiedlichen Charaktere und Werte der einzelnen Personen angeht. Fachlich sind aber alle Teammitglieder gleich. Dabei zählt in Indien am Ende eines Projekts vor allem der Output und weniger die Stimmung im Team. Das schätze ich in Deutschland sehr – hier wird mehr Wert auf das Miteinander gelegt. Schließlich kann man Fähigkeiten erlernen, aber Persönlichkeiten lassen sich nicht einfach ändern.

Aufgrund der Internationalität im Team, während meiner ersten Anstellung in Deutschland, wurde ich sehr gut aufgenommen. Als ich anfing die deutsche Sprache zu lernen, öffnet sich dann neue Türen für mich und ich hatte keine Probleme, mich in mein neues Team hier in Aalen einzufügen.


Welche Rolle spielte Sprache bei der Integration am Arbeitsplatz?

Die Sprache ist für mich der Schlüssel zur Integration. Wir wussten von Anfang an, dass die Sprache eine sehr große Rolle spielt, um sich gut integrieren zu können. Deshalb haben wir uns direkt vorgenommen, Deutsch zu lernen. Wenn man die Sprache nicht spricht, bleibt man eher unter sich. Es ist auch ein ganz anderer Umgang mit den Kollegen möglich, wenn man die Sprache beherrscht – es wird einfacher, gemeinsam zu lachen und Witze zu machen.

Ich sage internationalen Studierenden immer: "You can survive in Germany without German, but you can’t live here."


Gab es eine bestimmte Situation oder einen Moment, der dir im Berufsalltag besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ich erinnere mich gerne an den Tag letztes Jahr, an dem ich die Gelegenheit hatte, eine von der Schulwirtschaft organisierte Veranstaltung in deutscher Sprache zu moderieren, bei der viele einflussreiche Personen anwesend waren, darunter auch unsere Staatssekretärin Sandra Böser. Anfangs war ich sehr nervös, ob ich das schaffen würde, aber nachdem ich eine positive Resonanz vom Publikum erhalten hatte, war ich einfach überglücklich.


Wie empfindest du das Leben in Aalen im Vergleich zu einer Großstadt in Indien?

Grundsätzlich würde ich sagen, dass das Leben hier sehr anders ist. In Kalkutta ist es immer hell und laut, während wir die Ruhe in Aalen sehr genießen. Wir fühlen uns hier sehr wohl. Es ist einfacher, Freunde zu finden und Kontakte zu knüpfen. Das lässt sich vielleicht mit dem Unterschied zwischen einer Universität und einer Hochschule vergleichen. An der Universität bist du nur eine Nummer, an der Hochschule hingegen eine Person.

Eine Überraschung für uns war, dass es sonntags immer sehr ruhig in Deutschland ist. Das kennen wir aus Indien nur von regierungsverhängten Ausgangssperren. Wir waren die ersten vier Monate in Jena, und ich erinnere mich gut an einen verregneten Sonntag im Oktober. Wir fragten uns nur: Wo sind die Menschen? Was ist hier los? Das war wirklich witzig.

Ich fände es schon gut, wenn man sonntags ab und zu die Möglichkeit hätte, einzukaufen. Ein verkaufsoffener Sonntag im Monat wäre toll.


Was würdest du rückblickend vielleicht anders machen?

Hätte ich damals die Freiheit gehabt, so viele Dinge auszuprobieren, hätte ich vielleicht hier in Deutschland studiert. Nicht unbedingt im Bereich Forschung, sondern eher in Richtung Pädagogik oder Engineering.


Welche Botschaft möchtest du Menschen mitgeben, die eine internationale Karriere in Erwägung ziehen?

Wir brauchen gute Fachkräfte. Mein Tipp: Deutschland ist etwas für Sie! Hier lassen sich Beruf und Privatleben hervorragend miteinander verbinden. Mit seiner zentralen Lage im Herzen Europas ist Deutschland besonders attraktiv für Reisefreudige – von hier aus sind viele Reiseziele einfach und bequem zu erreichen. Better quality of life, better work life balance and a lot of travel 😊

Ich würde gerne noch einen Fun Fact zum Schluss erwähnen: In Deutschland habe ich schwimmen, Fahrrad und Autofahren gelernt!