Künstliche Intelligenz für kleine und mittlere Unternehmen greifbar machenTeam der Hochschule Aalen entwickelt KI-Accelerator für den Mittelstand

Der von der Hochschule Aalen entwickelte Evaluierungsassistent „Geochecker“ unterstützt die Digitalisierung und Optimierung von Bestell- und Produktionsprozessen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). © Hochschule Aalen | Jan Walford

Mo, 05. February 2024

Der Produktvertrieb über einen eigenen Online-Shop ist schon seit einigen Jahren Standard im Mittelstand. Zuletzt sind jedoch die Erwartungen von Geschäfts- und Privatkunden gestiegen: Sie erwarten dasselbe Einkaufserlebnis, das sie von den großen Online-Marktplätzen kennen. Doch wie lässt sich dies in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) umsetzen? Künstliche Intelligenz (KI) bietet das notwendige Potenzial. Jedoch mangelt es insbesondere in KMU an Fachkräften und am Know-how bei der Erstellung und Anwendung der erforderlichen Datenmodelle. Ein aktuelles Forschungsprojekt der Hochschule Aalen hilft, die Hürden zur Einführung von KI zu überwinden. 

Ein Erfolgsfaktor im Mittelstand ist ein spezialisierter Online-Shop, der durch individuelle Preisberechnungen und Servicedienstleistungen mit Kundennähe überzeugen kann. Ein Blick in die Praxis zeigt jedoch, dass dies viele KMU vor große Herausforderungen stellt. Auch das württembergische KMU H.P. Kaysser GmbH + Co. KG vertreibt als blechverarbeitender Auftragsfertiger ihre Produkte über einen Online-Shop. Privat- und Geschäftskunden können dort individuelle Blechteile, wie Ersatzteile, Einzelteile, Prototypen oder Serienteile bestellen, zum Beispiel für den Maschinenbau oder die Automobilindustrie. Die Basis bilden eigene rechnergestützte Konstruktionsdateien (CAD)-Dateien (zwei- und dreidimensionale Bilddateien). Jedoch war aus Kundensicht der Bestellprozess bislang kein durchgängiger Prozess. Händisches Zuarbeiten von Expertinnen und Experten war notwendig. Gemeinsam mit Kaysser und einem weiteren Unternehmen, der critalog GmbH, hat sich Prof. Dr. Steffen Schwarzer mit seinem Team an der Hochschule Aalen dieser Thematik in einem Kooperationsprojekt gewidmet. Der gebürtige Aalener ist Professor für Fertigungstechnik, Konstruktionslehre und CAD im Studienbereich Wirtschaftsingenieurwesen, leitet das Zentrum Industrie 4.0 und hat sich in seiner Forschung auf Industrie 4.0 im Maschinenbau spezialisiert. „Die neuen Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) bieten große Potenziale, das Prozessmanagement in diesen Fällen zu verbessern“, erklärt Johannes Seibold, Absolvent der Hochschule Aalen und früherer Mitarbeiter in Schwarzers Team, der seit wenigen Monaten bei der Carl ZEISS SMT GmbH tätig ist. „Durch den gezielten Einsatz einer KI könnten Entscheidungen datengestützt automatisiert getroffen werden, und der Produktionsprozess wird effizienter.“

Digitalisierung und Fertigungsautomatisierung mit KI 

Das Ziel des Projekts war es, einen automatisierten Prüf- und Beratungsvorgang zu etablieren. Lässt sich ein Blechteil mit der gewählten Geometrie wirklich herstellen und mit einer Pulverbeschichtung veredeln? Für diesen ressourcenintensiven Prüfprozess wurde ein Evaluierungsassistent entwickelt, der auf einer KI basiert: ein künstlicher Berater, auf Englisch „Artificial Consultant“. So lautet auch der Titel des Projekts, das das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) gefördert hat.

Der „intelligente“ Assistent übernimmt die Prüfung der Herstellbarkeit geometrischer Objekte. Dazu führt er auf Basis von CAD-Daten, die Kundinnen und Kunden hochladen, − automatisiert eine Bewertung durch und gibt eine Rückmeldung, ob ihr Auftrag durchgeführt werden kann. Dieser Prozess wurde zuvor von Mitarbeitenden mit jahrelanger Expertise übernommen, die jedoch auch mal eine Pause benötigen oder im Urlaub gehen. Diese Nachteile hat der entwickelte „geochecker“ nicht. Ein wesentliches Schlüsselelement im Projekt ist auch die eigene Entwicklung einer Methode, wie CAD-Daten aus verschiedenen Ursprungsformatierungen in KI-lesbare Daten automatisiert umgewandelt werden können.

„Als Technologiegrundlage dienen dabei Methoden des maschinellen Lernens und der Einsatz eines künstlichen neurales Netzes“, erklärt Schwarzer. „Das Modell wurde auf Basis der von Kaysser zur Verfügung gestellten Trainingsdaten aus vorangegangenen Bestellungen trainiert. Während des ‘Trainings‘ lernt der Algorithmus aus den Bilddateien Muster in Bezug auf Form und Struktur zu erkennen und eigenständig Regeln abzuleiten. Das Erlernte wird später auf neue Daten angewendet.“ Für die umfangreichen Programmieraufgaben im Projekt arbeiteten die Forscher des Zentrums Industrie 4.0 der Hochschule Aalen zusammen mit den IT-Experten der critalog GmbH.

Beide Seiten profitieren

Wie Stefan Bubeck, Leitung IT/Organisation bei Kaysser berichtet, gewinnen in erster Linie die Kundinnen und Kunden durch den Einsatz der KI. „Sie profitieren im Online-Shop von einer ununterbrochenen Leistungskette − von der Dateneingabe über die Prüfung der Herstellbarkeit bis hin zur Angebotsanforderung.“ Die User Experience, das Kundenerlebnis, seien spürbar verbessert worden. Kaysser wiederum profitiere von einem Rückgang des Ausschusses und einer Reduktion des in diesem Schritt notwendigen Expertenwissens. Die frei gewordenen Personalkapazitäten könnten für neue Themen und eine erweiterte Kundenbetreuung eingesetzt werden.

Anfassbare KI

Im Rahmen des Projektes wurde darüber hinaus ein „Demonstrator“ entwickelt, der das im konkreten Anwendungsfall entwickelte KI-Modell einsetzt. „Mit beispielhaften Blechteilen kann über ein integriertes Kameramodul die Prüfung der Herstellbarkeit durch die KI in Echtzeit auf einem Display visualisiert und validiert werden“, erläutert Schwarzer. „Damit werden die Forschungsergebnisse anschaulich zugänglich gemacht. Dies stärkt das Vertrauen in die Technologie und ist auch für Studieninteressierte attraktiv. Wir freuen uns auf Besuche interessierter Unternehmen, die sich spezifische Anwendungsfälle anhand des Demonstrators besser vorstellen können.“

Über das Forschungskonsortium

Die Hochschule Aalen ist mit dem Projekt „Artificial Consultant“ Teil eines Forschungskonsortiums mit den Hochschulen Esslingen und Reutlingen. Das Projekt accelerateKI wurde mit knapp 600.000 Euro vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert und adressiert die Hinderungsgründe für KI-Anwendungen im Mittelstand. Als Hilfestellung ist eine servicebasierte und plattformunabhängige KI-Konfigurationsunterstützung für KMU aus mehreren Teilprojekten entstanden.

Künstliche Intelligenz greifbar machen

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