Nachhaltige Unternehmensführung: Chancen und HerausforderungenPerspektiven aus der Forschung an der Hochschule Aalen und der Praxis im Unternehmen HARTMANN

Prof. Dr. Simone Häußler und Prof. Dr. habil. Patrick Ulrich forschen im Bereich nachhaltiger Unternehmensführung mit Blick auf Praktikabilität. © Hochschule Aalen | Felix Stockert

We, 05. July 2023

Nachhaltige Unternehmensführung stellt einen noch jungen ganzheitlich greifenden Managementansatz dar, der die Nachhaltigkeit in alle Funktionsbereiche eines Unternehmens integriert. Im Mittelpunkt stehen dabei die drei Aspekte Ökonomie, Ökologie und Soziales. Das Thema wird aufgrund der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen immer bedeutsamer, um eigene Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, regulatorische Anforderungen zu erfüllen und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern Es ist jedoch auch mit einigen Herausforderungen verbunden. Ein Forschungsteam der Hochschule Aalen hilft über Einstiegshürden der Implementierung hinweg, indem Ergebnisse aus praxisnahen Forschungskooperationen in die Wirtschaft transferiert werden. Ein Praxisbeispiel zeigt: Ein erfolgreiches Nachhaltigkeitsmanagement basiert darauf, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen und einen ganzheitlich integrierten Fahrplan zur Implementierung aufzusetzen.

Angesichts des wachsenden Bewusstseins für die soziale Verantwortung von Unternehmen und der Notwendigkeit, ökologische und ökonomische Herausforderungen anzugehen, ist eine effektive und ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie für Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Diese umfasst Aspekte wie Umweltschutz, ethisches Geschäftsverhalten und soziale Gerechtigkeit. Durch ein umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement können Unternehmen nicht nur ihre operativen Leistungen verbessern, sondern auch langfristige Wettbewerbsvorteile erzielen und ihre Resilienz stärken. 

Neue Ansätze, wie ein solches Management effizient implementiert werden kann, erforschen Prof. Dr. habil. Patrick Ulrich und Prof. Dr. Simone Häußler am Aalener Institut für Unternehmensführung (AAUF) der Hochschule Aalen. Sie arbeiten eng mit Michaela Sieger zusammen, die als Head of Sustainability beim Kooperationspartner PAUL HARTMANN AG die Nachhaltigkeitsabteilung der Konzernzentrale leitet. Im Interview mit Ilka Diekmann berichten sie, warum Nachhaltigkeit insbesondere für die Führung von Familienunternehmen entscheidend und die praktische Zusammenarbeit so wichtig ist.

Ilka Diekmann (ID): Herr Ulrich und Frau Häußler, worum geht es in Ihrer Forschung zu nachhaltiger Unternehmensführung? 

Patrick Ulrich (PU): Bisherige Forschungsanstrengungen zu nachhaltiger Unternehmensführung haben vor allem große und börsennotierte Unternehmen in den Mittelpunkt gestellt. Familienunternehmen hingegen wurden in diesem Zusammenhang oft vernachlässigt. Doch sie erfordern eine differenzierte Betrachtung. Denn die Kombination von familiären Werten, Traditionen und langfristiger Perspektive, die sie prägt, bringt spezifische Herausforderungen mit sich. Dies zeigt sich vor allem in der Frage der zukünftigen Ausrichtung eines Unternehmens: Viele Familienunternehmen verstehen sich per se als nachhaltig, müssen aber gleichzeitig – mitunter sehr schnell – auf Themen wie Digitalisierung und politische Unsicherheiten reagieren. Zudem sind in einer Familie naturgemäß nicht immer alle einer Meinung.

Simone Häußler (SH): Wir erforschen daher gezielt die Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien in Familienunternehmen genauer. Dies führt nicht nur zu einem besseren Verständnis der besonderen Herausforderungen und Chancen, denen diese Unternehmen gegenüberstehen, sondern auch zur Entwicklung maßgeschneiderter Ansätze und Instrumente, die ihnen dabei helfen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Warum ist nachhaltige Unternehmensführung so bedeutsam?

SH: In Europa wird von Unternehmen, Banken und Versicherungen zukünftig ein verstärkt verantwortungsvolles und nachhaltiges Handeln gefordert. Die Europäische Union (EU) treibt diesen Prozess voran, indem sie ein umfassendes Set neuer Berichtspflichten einführt, das einen strategischen Rahmen bietet. Dazu gehören beispielsweise die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und die EU-Taxonomie, oder das LkSG (Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz). Sie sollen einen Beitrag zum europäischen Green Deal leisten − dem EU-Konzept, um erster klimaneutraler Kontinent zu werden. Im Einklang mit den Umweltzielen der EU rücken auch soziale Mindeststandards wie menschenwürdige Arbeit und Governance-Themen wie effektive Management- und Kontrollsysteme sowie die Bekämpfung von Bestechung und Korruption in den Fokus.

Wann müssen die Unternehmen die neuen EU-Vorgaben konkret umsetzen? / Betreffen die neuen Vorgaben der EU alle Unternehmen?

SH: Schon ab nächstem Jahr sind allein in Deutschland etwa 15.000 Unternehmen zur sogenannten nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet. Dies betrifft zunächst zwar nur große Kapitalgesellschaften, bestimmte nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen, doch perspektivisch werden auch auf die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) völlig neue Herausforderungen zukommen.

Wie können und sollten sich (Familien-)Unternehmen darauf einstellen? 

PU: Die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, branchenspezifischer Standards sowie interner Richtlinien (Compliance-Regeln) sollte einen zentralen Stellenwert in der Unternehmensführung einnehmen. Heute/Derzeit sieht die Realität in Deutschland jedoch anders aus, was mehrere Ursachen hat. Primär besteht das Problem darin, dass eine angemessene Kenntnis der entsprechenden Regelungen erforderlich ist. Darüber hinaus weist Deutschland im internationalen Vergleich eine fragmentarische und auf gewisse Weise leider etwas rückständige Compliance-Gesetzgebung auf. So gibt es in Deutschland beispielsweise kein Unternehmensstrafrecht und die europäische Whistleblower-Richtlinie wurde mit ca. drei Jahren Verzug erst in nationales Recht umgesetzt.

Warum ist Compliance an dieser Stelle so wichtig? 

PU: Auffällig ist, dass das öffentliche Interesse hauptsächlich auf Großunternehmen und spezifische Straftatbestände wie Betrug und Korruption fokussiert ist. Aus meiner Sicht durchlebt unsere Gesellschaft angesichts bedeutsamer Skandale einen langwierigen und teilweise schmerzhaften Transformationsprozess hin zu einer verstärkten Beachtung von Compliance (Regeltreue von Unternehmen). In der Praxis der meisten Unternehmen wurden mittlerweile solide Strukturen zur Erfüllung von Compliance-Anforderungen etabliert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für diese Thematik sensibilisiert. Jedoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass weiteres Verbesserungspotenzial besteht. Meiner Ansicht nach besteht der größte Handlungsbedarf darin, von einer nachträglichen Betrachtung von Skandalen hin zu einer präventiven Denkweise zu gelangen, die darauf abzielt, derartige Vorfälle von vornherein zu verhindern. Dabei beziehe ich sowohl die Forschung als auch die praktische Umsetzung mit ein.

Was sind die zentralen Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeiten?

SH: Unsere Forschungen zeigen unter anderem, dass Organisationen noch großen Nachholbedarf im Bereich der Nachhaltigkeit haben. Ich möchte betonen, dass bisher noch zu zögerlich und wenig proaktiv auf zu antizipierende gesetzliche Regulierungen reagiert wird. Es ist klar, dass in der Zukunft eine materielle Pflicht zur Durchführung bestimmter Nachhaltigkeitsaktivitäten eingeführt werden wird, wenn der aktuelle „Umweg“ über die Berichterstattung nicht funktioniert. Darüber hinaus haben wir mehrere Studien dazu durchgeführt, wie bei Individuen nachhaltige Einstellung und nachhaltiges Kaufverhalten zusammenpassen. Sie zeigen: Das tun sie eben nicht – beinahe nirgendwo auf der Welt ist die Lücke so groß wie in Deutschland.

Wie gehen Sie dabei methodisch vor?

PU: Hier arbeiten wir mit einem Methoden-Mix aus Beobachtungen, Feld- und Fallstudien, Experimenten und vor allem schriftlichen Befragungen. Wichtig ist mir als Anhänger der evidenzbasierten Methoden, dass wir empirisch überprüfte und wirksame Empfehlungen für die Praxis ableiten.

Was sind Ihre nächsten großen Ziele in der Forschung? 

PU: Ich würde gerne in den kommenden zwei Jahren ein Konzept erarbeiten, wie Nachhaltigkeitsmanagement, Strategisches Management und Compliance Management integriert betrachtet werden können. Der COSO-Standard (des Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission) aus dem Jahr 2017, derStrategie, Risikomanagement und Unternehmenserfolg verzahnt, war hier bereits ein erster guter Schritt. Leider wurde er in der Praxis bisher nur unzureichend umgesetzt.

Frau Häußler, Ihre Professur ist etwas Besonderes – eine sogenannte „Shared Professorship“, die eine berufliche Tätigkeit an der Hochschule Aalen und bei HARTMANN ermöglicht. Welche Ziele verfolgen sie darin?

SH: Ich möchte die „Shared Professorship“ nutzen, um mein Forschungsprofil zu schärfen und den Forschungsstand in den Themengebieten Nachhaltige Unternehmensführung und Corporate Social Responsibility (CSR) voranzubringen. Die Ergebnisse meiner Forschung plane ich in Form von hochwertigen Publikationen zu veröffentlichen. Es ist mir zudem ein großes Anliegen, den neuen Master Nachhaltige Unternehmensführung voranzubringen und meine Lehraktivitäten mit praxisnahmen und aktuellen Inhalten zu bereichern. Praxisseitig bin ich aktuell dabei, meine Projekte in der Nachhaltigkeitsabteilung der Konzernzentrale der PAUL HARTMANN AG aufzubauen und profitiere dabei vom Austausch mit den Spezialisten aus der Industrie. Mein Wunsch ist es, sowohl in Forschung und Lehre als auch in der Praxis neue Erkenntnisse zu erzielen und auch selbst weiterhin zu lernen.

Wie funktioniert nachhaltiges Wirtschaften in der Praxis? Michaela Sieger gibt Einblicke in die unternehmerische Praxis bei HARTMANN.

Michaela Sieger (MS) : Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen sich ihrer ganzheitlichen Verantwortung entlang von ökonomischen, ökologischen und sozialen Themen bewusst sein. HARTMANN nimmt diese Verantwortung gegenüber Kunden, Mitarbeitenden und der Gesellschaft ernst und lebt Nachhaltigkeit schon seit vielen Jahren. Vor dem Hintergrund zunehmender regulatorischer Anforderungen (neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung "Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)", EU-Taxonomie Nachhaltigkeit) ist ein integriertes Gesamtkonzept zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie die systemische und organisatorische Verankerung von Nachhaltigkeitsaktivitäten unerlässlich. Unser strategischer Nachhaltigkeitsansatz sieht darüber hinaus umfangreiche Ziele und Maßnahmen für die Zukunft vor. Entsprechende Ressourcen und Strukturen für diesen Transformationsprozess werden aufgebaut – nicht zuletzt durch das neue Projekt "Shared Professorship" in Kooperation mit der Hochschule Aalen.


Über das Aalener Institut für Unternehmensführung AAUF der Hochschule Aalen

Das 2016 an der Hochschule ins Leben gerufene Aalener Institut für Unternehmensführung (AAUF) verfolgt das Ziel, gute Unternehmensführung (Corporate Governance) mit dem primären Fokus auf Wertorientierung in der Unternehmensführung innerhalb von Forschungs- und Transferprojekten zu etablieren. Die Ergebnisse dieser Forschung tragen dazu bei, einen Kooperations- und Transferprozess in der breiten Praxis voranzubringen. Darüber hinaus findet eine Integration in die Lehre statt, um diese praxisnah zu entwickeln und die Berufsbefähigung der Studierenden weiter zu verbessern.

Zu den Personen:

Prof. Dr. habil. Patrick Ulrich lehrt seit 2016 als Professor für Unternehmensführung und -kontrolle an der Hochschule Aalen im Studienbereich Internationale Betriebswirtschaft. Zudem ist er Privatdozent an der Universität Bamberg und Lehrbeauftragter an mehreren anderen Hochschulen. Er ist Autor von mehr als 430 wissenschaftlichen Veröffentlichungen in den Themen Digitale Transformation, Governance, Risk und Compliance (GRC), Unternehmensführung und Controlling sowie Nachhaltigkeitsmanagement.

Prof. Dr. Simone Häußler hat seit 01.05.2023 eine Professur für Nachhaltige Unternehmensführung an der Hochschule Aalen inne − eine „Shared Professoship“. Sie ist zu 49 % an der Hochschule Aalen und zu 51 % in der Nachhaltigkeitsabteilung der Konzernzentrale der PAUL HARTMANN AG tätig. Ihre Forschungsinteressen liegen auf den Themengebieten Corporate Social Responsibility (CSR) sowie Nachhaltigkeitsberichterstattung, insbesondere mit Fokus auf Familienunternehmen.